Gesellschaft für Bibliodrama

Christoph Riemer +1.12.2022

Fügung - Fest - Anmut

waren die drei Worte, die Christoph Riemer während der Jahresperformance im Januar 2019 in Hamburg in beuysscher Manier auf drei große Tafeln schrieb inmitten von Leuten, die er alle persönlich kannte und die -im Laufe des Abends einmal von ihm vorgestellt- zu Worte kamen.

„Atelier zu den vier Winden“ hieß der Ort einmal, der andere in Gelnhausen „Gärtnerhaus“.

Ich war Christoph schon vor der Wende begegnet auf Bibliodramawochen im Osten, zumeist zusammen mit Marcel Martin und in einer Latzhose mit Blockflöte in der Seitentasche. Wir schliefen im Kirchenraum, verarbeiteten unsere Träume zu Ritualen – und wollten am Ende nicht aufhören zu lachen.

Später war er Kollege im Burckhardthaus Gelnhausen, das er zu einem Ort musisch-kultureller Bildung machte. Masken, PlayingArts mit Selbstzertifizierung. Darüber können andere mehr berichten. Ich kann mich noch an die Bibliodramakongresse erinnern und deren Titel: „IT’S THE SAME, BUT DIFFERENT” (1994); „Tabu“ (1996); „The Power of Atmosphere“ (1998); “Lebenskunst“ (2000); “Existenzangst –
Gottesfurcht“ (2000); „The Daily Risk“ (2004); “Don’t worry – Sorget nicht” (2005); „Blasphemie“ (2006); „Ich würde Dich nicht suchen, wenn Du mich nicht schon gefunden hättest“ - Das göttliche "Prae" im Bibliodrama (2007); „Das Leben anziehen wie ein Ballkleid“ (2008).

Gesten, Übermalungen, Tanz. Der weite Kunstbegriff und „Künstlerisches Gestalten ist ein Gebet“. Glaube und zeitgenössische Kunst. Hamburg und die Welt: New York und Katja Delakova, Sommerateliers in Frankreich, Thailand und Jao, sein späterer Mann. Gelebte Alternativen. Garküchenschürze als Maske.
Erinnerungen werden zu einem Resonanz-Psalm.

Er drängte darauf, dass wir unsere Prozesse dokumentieren sollten. Selber hatte er dabei einen eigenen Stil: Jedes Jahr ein Konvolut. Diese ergaben später das Material für die Rückblicke anlässlich seiner Geburtstage. Am Ende sah er die Stücke seines Archivs noch einmal durch und brachte sie dann zum Container – so wie in seinen Inszenierungen der Abschiede vom Burckhardthaus Gelnhausen oder am Ende des Bibliodramaworkshops zur Apokalypse Werke ins Feuer geworfen wurden.

„Danke für das was war.
Danke für das was kommt.“

Das waren seine Worte, die er über diese Abschiede legte.

Einige Tage vor seinem Tod riet er mir: Bleibe bei den Anekdoten, verzichte auf die Fixierung eines Lebenslaufes. Nicht nur dieser Rat von ihm wird mir bleiben.

Fügung – Fest – Anmut.

Wolfgang Wesenberg

 

 

Nekrolog Gerhard Marcel Martin

Nachruf auf Dr. Jürgen Weiß

Jürgen Weiß +

* 17.06.1948 † 11.08.2022

Jürgen Weiß, aus dem erzgebirgischen Crottendorf stammend, war es, der gegen Ende der ersten gesamtdeutschen und ökumenischen Bibliodrama-Fortbildung abends unter einer Linde in Werder an der Havel Else Natalie Warns, Annegret Deupmann und mir klar machte, dass wir eine Bibliodrama-Gesellschaft gründen müssten. Damit unterstützte er überzeugend das in dieselbe Richtung gehende Drängen von Eberhard Warns und anderen aus Bielefeld – wie man bis heute sehen kann.

Dabei war Jürgen eher im TZI oder in der Seelsorge zu Hause. Aber er ermutigte viele Pfarrerinnen und Pfarrer in den ersten Jahren ihrer Praxis, eine Bibliodrama Fortbildung zu besuchen, um nicht in dem von Verwaltungsaufgaben geprägten Alltag die theologische und spirituelle Dimension zu verlieren.

Selber von kirchlichen Ausbildungen in der DDR geprägt (Abitur in Hermannswerder, Studium in Naumburg und Berlin), später selber für Ausbildungen verantwortlich in Leipzig und Ludwigslust war er kritisch gegenüber einer kirchlichen Praxis, die in der Gefahr stand und steht, die Mitarbeitenden psychisch und spirituell zu überfordern.

Ausgesprochen interessant und lustvoll war es, zusammen mit ihm eine Bibliodrama-Fortbildung, die er regelmäßig organisierte, zu leiten. Nicht nur, dass stets eine hochkarätige Supervision (Reinhard Schläpfer, Marcel Martin) eingeplant war, eine Neuauflage eines Entwurfs oder eine Wiederaufnahme eines Bibeltextes waren ihm zu langweilig. Unvergessen die großen Räume, in denen wir arbeiten konnten - und die knarrenden Dielen.

 – Und er nahm sich Zeit für die Vorbereitung und Reflexion, was nicht immer verhindern konnten, dass andere Verantwortlichkeiten schwerer wogen. Er hatte die entsprechenden institutionellen Positionen inne und die gerade in seiner kirchlichen Biografie begründete Aufrichtigkeit, die es ihm ermöglichte, der bibliodramatischen Praxis Raum in Mecklenburg zu geben.

Und Ingrid, seine Frau, sie war übrigens vor ihm vom Bibliodrama begeistert.

Viel wäre noch zu erinnern. Schwer zu verstehen, dass er schon gehen musste. Über der Todesanzeige der Familie steht:  

Jesus spricht: In der Welt habt ihr Angst;
aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. (Joh.16,33)

Er könnte diesen Vers selbst gewählt haben.

Wolfgang Wesenberg

Nachruf für Leony Renk

Erinnerungen an Pfarrerin i.R. Leony Renk
3.11.1938 – 22.6.2022

von Antje Röckemann, Pfarrerin, Gelsenkirchen

„Ziehe aus! Aus den Irrtümern deines Vaterlandes, deiner Freund:innen und deines Elternhauses“, so erklärt eine rabbinisch-chassidische Interpretation die dreimalige Aufforderung an Abraham „Geh fort“ (Gen 12,1). Diesen Midrasch hat Leony Renk oft erzählt, er gehörte zu ihren Lieblingstexten.

Der größte Irrtum, der ihre Existenz als Theologin bestimmte, zeigte sich in schrecklichster Weise in der Reichspogromnacht kurz nach ihrer Geburt. Der Antijudaismus in der Theologie und der Gesellschaft hat ihre Bibellektüre, ihre Haltung und Methode geprägt. Der interreligiöse und besonders der jüdisch-christliche Dialog waren ihr ein Herzensanliegen.

1975 begegnete sie Ruth C. Cohn, der Begründerin der Themenzentrierten Interaktion (TZI), mit der sie eine lebenslange Freundschaft verband. Bei Cohn und anderen jüdischen Fachleuten ging sie in die Lehre, bis sie selbst TZI-Ausbilderin war und vielen Menschen diese humanistische Psychologie und radikal-demokratische Pädagogik vermittelte.

Sie hat Theologie studiert als eine Ordination für Frauen noch nicht vorgesehen war. So wechselte sie in das Lehramtsstudium, nach einer Kinder-„Pause“ und begleitendem Studium wurde sie dann 1977 Pfarrerin. Sie leitete die „Arbeitsstelle für gemeinde- und religionspädagogische Aus-, Fort- und Weiterbildung“ – erst in einem Westberliner Kirchenkreis, dann für die immer größer werdende Landeskirche.

Ihre Doppelqualifikation als Pädagogin und Theologin war gefragt: sie sollte das Erzählen biblischer Geschichten in Kindertagesstätten vermitteln. Die herkömmlichen Unterrichtsmethoden versagten hier, sie suchte daher nach religionspädagogischen Ansätzen, die in die säkularisierte Gesellschaft passten. Im Burckhardthaus (Gelnhausen) lernte und lehrte sie dann als eine der ersten Bibliodrama, unter Mitarbeit von Gerhard Marcel Martin. Leony Renk gehört damit zu den Wegbereiterinnen des Bibliodrama.

Zwei Spezifika machen ihren Ansatz aus:
Sie entwickelte Bibliodrama auf der Grundlage der TZI und im Kontext des interreligiösen, insbesondere des jüdisch-christlichen Dialogs. Das wurde auch international wahrgenommen.

Elisabeth Schüssler Fiorenza stellt in „Democratizing Biblical Studies“ (2009) Renks Bibliodrama-TZI-Ansatz vor als eine radikal demokratische Methode, die die Hermeneutik des Verdacht auf den ursprünglichen und den aktuellen (politischen) Kontext des Bibeltextes bezieht – und daher offen ist für feministische Transformationen im interreligiösen Miteinander. Und Maria Elisabeth Aigner würdigt in ihrer Habilitation über „Bibliodrama und Bibliog als pastorale Lernorte“ (2015) ausführlich Renks Ansatz im Abschnitt über interreligiöse und interkulturelle Begegnung.

Leony Renk bot Ende der 1990er Jahre, vermutlich als erste (in Europa) überhaupt, eine jüdisch-christliche Bibliodrama-Ausbildung an, in Zusammenarbeit mit Rabbinerin Prof. Dr. Evelin Goodman-Thau, Dr. Rachel Herweg, Ewa Alfred, Iris Weiß und anderen. Ihren feministischen und interreligiösen Ansatz, ihre besondere Verbindung von Bibliodrama und TZI hat sie zuletzt dargelegt in der Enzyklopädie „Die Bibel und die Frauen“, eingeladen von Elisabeth Schüssler Fiorenza, in vier europäischen Sprachen. Das entspricht ihrem internationalen Engagement. Sie hat in Israel, Brasilien, Ungarn, Polen, Spanien Seminare und Workshops gegeben – auch schon in den 1980er Jahren.

 

Der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit antwortete sie früh mit interkulturellen und interreligiösen Seminaren. Die Frage nach dem GLOBE, dem gesellschaftlichen und politischen Kontext war für sie „die dringlichste Frage“, um danach zu erarbeiten, „was kann ich, was können wir tun?“ Diese Fragestellung aus der Themenzentrierten Interaktion fand sie auch in der lateinamerikanischen Bibelauslegung wieder, an deren Ende immer ein compromisso, eine Selbstverpflichtung steht. Sie hat sich intensiv mit der Methode der Leitura Popular da Bíblia auseinandergesetzt und internationale, ökumenische Seminare in Berlin durchgeführt. 1994 war sie auch für einige Wochen als Dozentin im brasilianischen Centro de Estudos Biblicos (CEBI).

Für die GfB leitete sie 2006 einen Studientag „Interreligiöses Bibliodrama im politischen Kontext (… und nicht im luftleeren Raum)“ mit einem interreligiösen Leitungsteam. Auch auf Kirchentagen war sie regelmäßig mit Bibliodrama-Workshops beteiligt, zuletzt 2015 mit der Leitung eines interreligiösen und internationalen Podiums.

 

Mit Leony Renk verlieren wir eine der starken, klugen und mutigen Frauen, denen wir so viel zu verdanken haben. Sie war ihrer Zeit oft voraus – und hat ihre Arbeit gegenüber kirchlichen Gremien immer wieder verteidigen und erklären müssen. Jetzt ist sie endgültig ausgezogen aus allen verbleibenden Irrtümern – ob sie dort mit Abraham, mit Sara und Hagar über uns lächelt?

 

Literatur:

Monika Ottermann (2003): Der Segen der Kanaanäischen Frau: Bibliodrama und leitura popular. Zehn Jahre Bibliodrama-Arbeit in Brasilien, in: Dei Verbum Nr. 66/67, S. 11-15.

Margarete Pauschert / Antje Röckemann, (1999): In Spiralen fliegen: Bibliodrama und TZI interkulturell (für Leony Renk zum 60. Geburtstag), Münster: Schlangenbrut.

Leony Renk (Hg.) (2005): Interreligiöses Bibliodrama. Bibliodrama als neuer Weg zur christlich-jüdischen Begegnung, Birkach (Bibliodrama Kontexte. Beiträge zur Theorie der Bibliodramapraxis 6)

Leony Renk (2010): Die dringlichste Frage. Erinnerungen an Ruth C. Cohn, in: Schlangenbrut 109/110, S. 51-53.

Leony Renk (2015): Wo kommt Du her?- Wo gehst Du hin? Feministisch-interreligiöses Bibliodrama im deutschen Kontext, in: Elisabeth Schüssler Fiorenza / Renate Jost (Hg.): Feministische Bibelwissenschaft im 20. Jahrhundert, Stuttgart, S. 317-330 (auch englisch, spanisch, italienisch).

Antje Röckemann (1994): „Das ist so etwas Lebendiges und Vibrierendes in diesem Körper.“ Interview mit Leony Renk, Schlangenbrut 45 (1994), S. 10-12.

Reinhard Schläpfer

25. 7. 1936 - 14.2.2020


Reinhard Schläpfer hatte sich  aus der Bibliodrama-Szene zurückgezogen, nachdem er die Dokumentation der Schweizer Bibliodrama-Fortbildungen abgeschlossen hatte.
Nach dem Kongress in Batschuns 2018 aber traf sich die Schriftleitung des "TEXT RAUM" noch einmal mit ihm zum Interview. Im TEXT RAUM 50 ist davon zu lesen.
Da war es wieder: sein verschmitztes Lächeln, das "Ja, ja" - und es kamen viele Erinnerungen. Für mich war er ein bewußter Schweizer, dem Berlin und Wien "zu imperial" waren, der seine Arbeit in Kirche und Bildung aber immer ökumenisch und grenzüberschreitend verstand. So war er auch dabei, als es darum ging, Foren für die beginnende Bibliodramabewegung zu schaffen: In Wartensee und im Burckhardthaus Gelnhausen. Da setzte er sich mit ganzer Kraft ein, blieb gleichzeitig aber in ironischer oder pädagogischer Distanz zu den Hauptakteuren. Es gibt ein charakteristisches Foto aus Dobogokö mit Antje Rösener am äußersten Rande des Geschehens auf einer Couch.
Unvergessen auch, wie er mit Cäcilia Koch für die europäischen Fortbildungsrichtlinien um Inhalte und Stundenzahlen stritt, - und wie er uns im Leitungsteam der Mecklenburger Bibliodrama-Fortbildung supervidierte, mal im Unteren Engadin, mal im Oderbruch. Wichtiger als der Bezug auf Morenos 'Universen' war ihm die Frage: Wo haben die Teilnehmenden eine Wahl?
Und man konnte mit ihm so schön über eigene und fremde Eitelkeiten leise kichern. So ist er 83 Jahre alt geworden.

Wolfgang Wesenberg

Else Natalie Warns

19.5.1930 – 25.8.2018

Engel waren und blieben ihr Thema.

Auf der Trauerfeier in Berlin rahmten zwei blaue Engelsmasken ihre Urne. Sie gehörten zu dem Maskenspiel zur Geschichte von Jakobs Himmelsleiter, das sie für das japanische Kaiserpaar bei seinem Besuch in Bethel einstudiert hatte. Sie hat auch einmal in einem PlayingArts-Projekt Wände und Böden abgerieben und diese Frottagen dann so weiterbearbeitet, dass Engelserscheinungen aus ihnen wurden. Engel waren und blieben ihr Thema. Ihre Vorliebe für Schmetterlingen hat wohl auch etwas damit zu tun.

Was mag sie an dieser alttestamentlichen Geschichte so angezogen haben?


Zuerst vielleicht der Sachverhalt, dass es eine Geschichte auf dem Weg ist, eine Fluchtgeschichte. Geboren als Tochter eines Diplomaten in Rom 1930, aufgewachsen in Paris. Die Kriegsjahre in Berlin und im Warthegau. Die oft erzählte dramatische und lebensgefährliche Flucht mit ihrer Schwester Hella zu Verwandten nach Lüdenscheid. Hunger und Fremdheit eines Flüchtlingskindes. 1948 macht sie Abitur und beginnt Archäologie und Kunstgeschichte zu studieren.

Sie lernt Eberhard Warns kennen, verlobt sich und heiratet 1954, bricht
das Studium ab. Sie ist jetzt als adlige Tochter mit einem Bürgerlichen verheiratet und beginnt ein Pfarrhaus zu führen. Es folgen Jahre als Pfarrfrau in verschiedenen Orten. Vier Kinder werden geboren. Sie beginnt mit Theaterprojekten in der Schule. Das liegt ihr. Es entsteht ein neues Wirkungsfeld: Arbeit mit Zivis und Schülern, Kontakte zu ganz anderen Menschen, Mitarbeit in der Schulbuchkommission von NRW, bundesweite Schultheaterwettbewerbe.
Sie erkämpft sich 1983 unterstützt von ihrem Mann, den Umbau des ehemaligen Betheler Fuhrgeschäfts in eine Theaterwerkstatt und eine Anstellung als Lehrerin für das Fach Spiel in der Erzieherausbildung. Projekte mit Schülern und Lehrern, Ärzten und Patienten, Maskenspiele, 3.Welt-Projekte und die in Bethel berühmten Weihnachtsspiele. Große Inszenierungen auf Kirchentagen. In einem wurden zum Beispiel eine Bibel mit einer Flexe zerfetzt wurde oder eingeschweißtes rohes Fleisch flog in den Zuschauerraum. Es ging um Mannah und Wachteln in der Wüste.

 

Durch ihre Veröffentlichungen bekommt sie Anschluss an die gerade entstehende Bibliodramaszene. Zusammen mit Heinrich Fallner, Hermann Brandhorst und ihrem Mann Eberhard erarbeitete sie das Bielefelder Fortbildungskonzept, nach dem sich mehrere Hundert Bibliodramatikerinnen und Bibliodramatiker in Grund- und Aufbaukursen fortbildeten, neue Lernkonzepte mit ästhetischen Mitteln wurden dabei ausprobiert. Das Buch ‚Bibliodramapraxis‘ und die Schriftenreihe ‚Kontexte‘ sind daraus hervorgegangen.

 

Die fortschreitende Demenz ihres Mannes fordert sie über Jahre hinweg. Die Theaterwerkstatt gab sie an ihren Schüler Matthias Grässlin weiter. Das fiel ihr schwer.

Nach dem Tod ihres Mannes brach sie noch einmal auf, verkaufte das Haus in Bielefeld und zog zu ihren Söhnen und deren Familien nach Berlin. Ein neuer Lebensabschnitt.

 

Das Motiv des Traums mag sie auch mit der Geschichte verbunden haben. Sie hat mit ihren Träumen gelebt. In Bibliodramaprozessen träumte sie im Raum des Textes, bei Exerzitien träumte sie von Gott, was ihr die andauernde Bewunderung der katholischen Kollegen eintrug. Sie konnte während eines Kurses beim Frühstück morgens erklären, dass sie etwas geträumt hatte, und es müsste es jetzt ganz anders weitergehen, als wir am vergangenen Abend besprochen hatten.

Ihr Mann bezeichnete ihren Lebensstil als dramatisch. Manche hat ihre Kreativität überfordert.

 

Dann ist da in der Geschichte das Auf-und-Ab der Engel auf der Leiter, die Wechselhaftigkeit des  Lebens. Das Auf- und Ab in der Gesundheit. Der zunehmende Erfolg ihrer Fortbildungskurse und später das abnehmende Interesse an ihnen.

Und die Erkenntnis, dass ihre künstlerischen Gestaltungen und Inszenierungen letztlich hinter dem zurückblieben, was sie sich erträumt und vorgestellt hatte. Sie nannte es das scheppernde Dreieck von eigenen künstlerischen Ansprüchen, Bibeltext und Gruppenprozess. Sie musste sich einerseits damit abfinden, dass es nie gelingt, allen drei in gleicher Weise gerecht zu werden. Andererseits wusste sie, dass in der Dynamik zwischen diesen drei Polen die besondere Qualität ihrer Inszenierungen begründet war.

Darüber hinaus hatte sie das Talent, Gestaltungsprozesse so anzulegen, dass sie nicht völlig schiefgehen konnten und andere ihre Freude daran hatten – sei es als Betrachtende oder als Handelnde.

 

Dem träumenden Jakob werden viele Nachkommen verheißen. Solange ich Else Natalie Warns kenne, hatte ich immer das Gefühl, sie steht nicht alleine. Sie hatte ihre Familie im Rücken, den Mann, Kinder und Enkel, und nicht zuletzt die baltendeutsche Familientradition. Sie war eine geborene von Grote, ein Name, der seinen Klang in einer andren Zeit, in einem anderen Land hat. Nicht zuletzt von daher hat sie dafür gesorgt, dass vor dem Fall der Mauer Interessierte aus Osteuropa an den Fortbildungen in Bielefeld teilnehmen konnten und  deshalb fuhr sie auch zu Bibliodramaworkshops in die DDR und nach Ungarn. So war sie dann eine begeisterte Teilnehmerin an europäischen Bibliodramatreffen.

 

Als Jakob aufgewacht war, sprach er: „Fürwahr der Herr ist an dieser Stätte und ich wusste es nicht.“ Alle Versuche, Gott auf das schon Gewusste einzuschränken, waren ihr zuwider. Gott an eine Tradition, einen Ort, eine Nation, einen Beruf zu binden – das ertrug sie nicht. Else Natalie Warns war eine leidenschaftliche Streiterin für das Recht der persönlichen Textauslegung im Bibliodrama und überhaupt. Sie wehrte sich vehement gegen theologische oder psychologisierende Bevormundung und war eine der maßgeblichen Aktivist/innen beim “Gelnhausener Fenstersturz”! Sie berief sich auf das Priestertum aller Glaubenden, obwohl sie Luther gegenüber sonst misstrauisch war.

 

Sie ertrug es im Besonderen nicht, dass sich Gläubige verschiedener Konfessionen  und Religionen feindlich begegnen. So war die Gesellschaft für Bibliodrama, zu deren Gründungsmitgliedern sie gehört, seit Anfang an überkonfessionell, ökumenisch. Und gleichzeitig bereitete es ihr Spaß, im hohen Alter für 30 betagte Priestern ein Bibliodrama bei Rom zu leiten und die Patres zu provozieren.

In den letzten Jahren ging es ihr mehr und mehr um das Verhältnis von Juden, Christen und Muslimen. Sie begeisterte sich für die Idee des Houses of One (Drei Religionen – ein Haus – oder ein Gott?) und interstützte diese mit Wort und Tat.

 

Welches Haus hat sie gebaut? Welche Steine hat sie aufgerichtet?

Sie war an der Entstehung der Bibliodramabewegung in Deutschland beteiligt und brachte ihre Theater-Erfahrungen in die Entwicklung des später ästhetisch-hermeneutisch genannten Zweiges der Bibliodramabewegung ein.

Sie hat die vielen Bilder, die ihr Mann in seiner Demenz auf ihre Initiative hin gemalt hat, gerahmt, geordnet und ausgestellt, Vorträge gehalten, mehrere Bücher veröffentlicht in denen sie von ihren Erfahrungen mit der Demenz ihres Mannes berichtete. Sie hat mit Vehemenz deutlich gemacht, dass Demente die Möglichkeit haben, sich nicht-sprachlich zu äußern, z. B. eben durch Malen. Sie gehörte zum Herausgeberkreis der Zeitschrift DEMENZ.

Es bleibt die Zeitschrift TEXT RAUM, deren erste Schriftleiterin sie jahrzehntelang war und an deren letzter Redaktionssitzung vor ihrem Tod ihrer Wohnung sie mit voller Aufmerksamkeit teilgenommen hat. Ihr Ehrenvorsitz im Vorstand der GfB war ein Zeichen dafür, wieviel die Gesellschaft für Bibliodrama und die Bibliodramabewegung ihr verdanken.

Vielleicht sollten wir bibliodramatisch fragen: Welche Rolle hätte sie übernommen? Ein Engel? Welcher? Die Erde? Der Himmel? Die Leiter? Der Herr oben? Der Stein? Rebekka? Vieles ist denkbar. Wir werden es nicht mehr erfahren.

Vorstand der GfB und Redaktion TEXT RAUM

Ein Nachwort zu Natalie Warns von Eberhard Frick

Antje Kiehn

23.2.44 – 27.5.2018

Ein „Ach“ steht auf der Traueranzeige von Antje Kiehn. Dann kommen einige Punkte, wie eine Pause, …um dann mit den Worten fortzufahren: „gleich kommt sie die Treppe runter viel Sonne, viel Licht.. “Ich füge hinzu, -diese Szene genau vor Augen – viel Sonne, viel Licht und ein unendlich schöner Duft, weil sie gerade aus der von ihr so geliebten Badewanne gekommen ist.  Assuré übrigens hieß das Parfum, „selbstsicher“.
Treppe, Sonne, Licht, Duft: Das sind  einfache Bilder, die dem Schmerz einfallen und der Tatsache, dass eben diese Sonne, dies Licht, dieser Duft  wohl noch haften geblieben, aber eben nicht mehr getragen ist und erneuert von einem lebendigen Menschen. Antje Kiehn ist Bibliodramatikerin der ersten Stunde. Mit unendlicher Vitalität mischte sie, vom Psychodrama (Grete Leutz) herkommend, die zunächst etwas kirchenfrommen ersten Dramaversuche auf. Unorthodox, keine Berührung scheuend mit Mythos, Märchen oder Gedicht. Bald entdeckte sie, dass es Momente im Bibliodrama gibt, die sie die „großen Augenblicke“ (so ihr Aufsatztitel im ersten Bibliodramabuch von 1987) genannt hat. Sie scheute sich nicht, solche Augenblicke „Transzendenzerfahrungen“ zu nennen; übriggens in der Tradition von Karlfried Graf Dürkheim („Der Mensch ist himmlischen und irdischen Ursprung“s). Sie hatte Dürkheim bereits in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Rütte (Schwarzwald) aufgesucht, um dann später mit dessen Mitarbeiterin Maria Hippius in ihrem eigenen Wohnhaus das „Wentorfer Forum“ zu gründen, ein Treffpunkt, an dem von Horst Eberhard Richter, Fulbert Steffensky, Dorothee Sölle, Helmut Barz bis hin zu Marcel Martin sich getroffen hat, wer sich zum Umfeld eben auch bibliodramatischer Zugänge angeboten hat.
Ihr Wahlspruch (mit Teerstegen) „ein begriffener Gott ist kein Gott“ ließ sie aufmerksam bleiben für die so wichtige und doch so wenig beachtete völlige Ereignisoffenheit bibliodramatischen Arbeitens.
Von ihrer Sylter Herkunft her ist Antje niemals kirchenfromm gewesen, obwohl sie – spät  -in eben dieser Kirche getauft worden ist, als Erwachsene, als eine Liebende. Sie hatte nämlich Menschen  und mit ihnen Seiten entdeckt und Zugangsmöglichkeiten zur christlichen Tradition, die sie zu diesem Schritt gedrängt hatten.
Für sie war entscheidend, wem traue ich im Bibliodrama und wie „echt“ ist das, was passiert: „Sich einem Text anzuvertrauen“, hat sie geschrieben, „erfordert Mut, Hingabe und Demut, aber auch Wachsamkeit. Man weiß nicht, wohin es einen  verschlägt, in die „Illusion“ taucht die uralte menschliche Angst vor dem Fremden, ganz anderem auf, auch die Angst vor der Verführung zur Täuschung, dem Irrtum.  Woher kann ich die Sicherheit nehmen, dass  das, was mich drüben erwartet, etwas „Gutes“, mich Aufnehmendes ist und nicht etwas mich ungeheuer Bedrohendes und Zerstörendes.  Wem vertraue ich…“.
Sie ist am 26.Mai an den Folgen eines Aneurysmas plötzlich und zugleich sanft gestorben.

Wolfgang Teichert

Annegret Möser

Zum Tod von Dr. Annegret Möser

Nichts Menschliches war ihr fremd, aber auch nichts Priesterliches. Sie hat nämlich, zusammen mit ihrem Mann Wolfgang, nicht nur bibliodramatisch oder –logisch gearbeitet, sondern auch Priester auf deren Berufsweg begleitet. „Super“- vidiert, nennt man das wohl. Aber sie war nicht “darüber“, sie mischte sich „darunter“ mit ihrer leisen und zuweilen scheuen, immer aber klaren Kompetenz. Mit einem feinen Gespür übrigens für religiösen Geschmack und für eine auch poetische theologische Sprache. So hat sie in unsere Treffen und morgendlichen oder abendlichen Meditationen auch  Texte der französischen  Schriftstellerin und Mystikerin Gabiele Debrelle eingebracht. Man könnte im Katalog dessen, was Anne gewollt und nicht gewollt hat, statt des Namens der Mystikerin auch den von Anne Möser einsetzen. Das würde dann so aussehen:

Was Anne gut findet

Was Anne nicht gut findet

+ unsere Zeit

- "Nichts Neues unter der Sonne"

+ der heutige Tag

- Flucht

+ der Ort, an dem wir leben

- übersteigerter Idealismus

+ überall, hautnah

- "innere Burgen"

+ jedes Ding

- Weltverachtung

+ die Freude am Glauben

- Etiketten, Abgrenzungen

+ Leben, neues Leben, Lebendigkeit

- Sicherheit im geistlichen Leben

+ Lieben, so wie wir sind

- Unbeweglichkeit

+ Realismus, Wirklichkeit

- Himmelsflucht

+ Zuhören

- Traumwelten

+ in Augenhöhe anschauen

- Seelenzustände

+ etwas wagen

- Masken

+ dem Menschen angemessen

- Friedhofsruhe

+ Liebe, Herz

- der Idealmensch

+ die Frohe Botschaft

- Methoden, Programm

+ Milde, Sanftmut

- Gefühlsduselei

+ die Sehweise Christi

- Geschmack an Höherem

+ ausgelassene Freude beim Tanzen

- auf der Stelle treten

 

Auf der Stelle treten empfand sie, wenn das institutionelle Interesse der Kirche oder auch der Bibliodramagesellschaft zu wenig auf Wort, Szene und Inhalt zu achten bereit gewesen ist. Da wurde sie mit Recht ungeduldig. Da fühlte sie sich in ihrem Bestreben nicht gesehen und zuweilen entwertet. Sie jedenfalls nahm nicht sofort die Perspektive der glücklich Besitzenden ein: „Pure Anpassung an traditionelle Formen von Kultur und religiöser Praxis“, schrieb sie, „scheint der persönlichen Suche nicht genug zu geben. Gerade die Kirchen brauchten andere Weisen des Suchens und Findens spiritueller Nahrung –  neue Wege zwischen individueller Vereinzelung und fremd gewordenem Kult.“

Aber wenn es um kreative und lebendige Aktivitäten, wie etwa die jetzt entstehenden spontanen Straßenmahlgemeinschaften ging, von denen wir zuletzt angelegentlich im Lindauer Herbst gesprochen haben, dann leuchteten ihre  Augen und ein Lächeln zauberte sich auf ihr Gesicht.

Zu zeigen, dass der Himmel ein Interesse an der Erde behalte, war ihr wichtig. Darum liebte sie die „vertikale Poesie“ des argentinischen Dichters Roberto Juarroz. Sie las sie uns vor:

„Die Abwesenheit Gottes bestärkt mich.

Ich kann seine Abwesenheit besser anrufen

Als seine Anwesenheit.

Die Stille Gottes

Lässt mich sprechen.

Ohne seine Stummheit

Hätte ich überhaupt nicht sprechen gelernt.

Statt dessen

Stelle ich jedes Wort

In eine kleine Pause der Stille Gottes,

auf ein Fragment seiner Abwesenheit.“

Wir können das umkehren: ohne ihr Sprechen, hätten wir nicht das andächtige Schweigen ausgehalten. Nun ist ihre Stimme verstummt. Adieu Anne.

                                            Wolfgang Teichert